
Hat der Frieden noch eine Chance?
(Red.) «Nie wieder Krieg!» Das war nach dem Zweiten Weltkrieg das klare Ziel der deutschen Bevölkerung. Und heute? Gemäß dem Meinungsforschungsinstitut Insa ist Boris Pistorius der beliebteste deutsche Politiker, ausgerechnet der deutsche Verteidigungsminister, der sich ehrlicherweise besser Kriegsminister nennen müsste, denn er hat das klare Ziel, die Deutschen „kriegstüchtig“ zu machen. Hat der Frieden bei der künftigen Politik Deutschlands überhaupt noch eine Chance? Stefano di Lorenzo hat darüber nachgedacht. (cm)
Als Donald Trump 2016 zum ersten Mal zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde, schien die ganze Welt von der Angst ergriffen zu sein, dass ein solcher scheinbar labiler Mann wie der New Yorker Makler und Reality-Show Star einen Atomkrieg auslösen könnte. Es war eine kunstvoll geschürte Angst, aber diese Art von Ängsten ist extrem ansteckend und die Öffentlichkeit lässt sich allzu gerne von Massenaufregungen mitreißen. Trotz seines Wahlsiegs wurde Donald Trump aus vielen Gründen als ein Mann betrachtet, der für das Amt des Präsidenten einfach unwürdig war.
Trumps Slogan „America First“ kam bei vielen überzeugten Anhängern der besonderen Aufgabe Amerikas überhaupt nicht gut an, sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten. Viele waren von der Notwendigkeit und dem Nutzen der amerikanischen Vormachtstellung bei der Sicherung der Weltordnung und des Friedens einfach überzeugt. Trump wurde Isolationismus vorgeworfen und das Korrelat war, dass der amerikanische Isolationismus in den 1930er Jahren dem Erfolg von Faschismus und Nazismus geholfen hatte. Einige in Europa begannen zu befürchten, dass Europa, ein Kontinent mit fünfhundert Millionen Menschen, ohne den wohlwollenden und völlig uneigennützigen Schutz Amerikas sich selbst überlassen wiederfinden würde. Andere sahen in Trumps Parole „America First“ sogar etwas Nazihaftes, eine Art „Deutschland über alles“, das eindeutigste aller nationalistischen Mottos. Im Laufe der Jahre sind viele politische Führer in verschiedenen Ländern von ihren Gegnern als „neue Hitler“ verunglimpft worden, aber trotz der Banalität des Klischees bestanden viele darauf, es gegen Trump zu verwenden.
Schließlich erwies sich gerade der unberechenbare Trump in seinen ersten vier Amtsjahren als der erste amerikanische Präsident seit vielen Jahren, der keinen neuen Krieg begann. Trumps Bereitschaft, das militärische Engagement der USA in verschiedenen Ländern der Welt einzuschränken, hatte ihn mit dem deep state, dem militärisch-industriellen Komplex und der Kaste der Mandarine und Berufspolitiker, die sich um ihn scharen, in Konflikt gebracht. Merkwürdig in diesem Sinne erschien das unerwartete Lob des Spitzenjournalisten des liberalen Senders CNN, Fareed Zakaria, als Trump wenige Monate nach seinem Amtsantritt Raketen auf Militärbasen in Syrien abfeuerte. „Der Moment, in dem Trump Präsident wurde“, proklamierte Zakaria, einer der einflussreichsten Journalisten der USA. Als ob die Hauptaufgabe eines amerikanischen Präsidenten in erster Linie darin bestünde, die Stärke der amerikanischen Kriegsmaschinerie zu demonstrieren. Gerade in Bezug auf Syrien wurde Trumps Vorgänger Barack Obama vom interventionistischen Establishment vorgeworfen, zu träge zu sein. Trotz verdeckter Operationen zur Bewaffnung der Opposition gegen Assad — Waffen, die oft in den Händen von Dschihadisten von Al-Qaida und sogar IS landeten — war Obama für viele „schwach“ gewesen, weil er zu zögerlich gewesen sein soll, militärische Gewalt anzuwenden.
Während der Präsidentschaft Trumps gab es zwei Momente, in denen die USA kurz davor waren, massive Militäroperationen zu unternehmen. Der erste war im Sommer 2017: Die Spannungen zwischen den USA und Nordkorea schienen zu einer direkten Konfrontation führen zu können. Donald Trump hatte versprochen, auf einen theoretischen nordkoreanischen Angriff mit „Feuer und Zorn“ zu reagieren. Nordkorea seinerseits wollte ernst genommen werden und setzte seine ballistischen und nuklearen Tests fort. Schließlich löste sich die Spannung, und innerhalb eines Jahres trafen sich der koreanische Staatschef Kim Jong Un und Trump — das erste Treffen zwischen einem amerikanischen Präsidenten und einem nordkoreanischen Staatschef.
Die zweite Gelegenheit, bei der die USA bereit schienen, militärisch zu intervenieren, war im Juli zwei Jahre später. Damals hatte der Iran eine amerikanische Spionagedrohne in der Nähe des Golfs von Oman abgeschossen. Der US-Präsident hatte zunächst einen Schlag gegen mehrere militärische Ziele im Iran genehmigt, dann fragte er: „Wie viele Menschen werden sterben?“ Die Antwort, 150 Menschen, veranlasste Trump, den Angriffsbefehl zurückzuziehen. Das iranische Regime blieb Amerika weiterhin feindlich gesinnt — einige Monate später würde Trump den iranischen General Qasem Soilemani im Irak töten —, aber diejenigen, die sich nach einem umfassenden Krieg gegen den Iran sehnten, mussten warten. Trump wurde vorgeworfen, inkonsequent zu sein und gemischte Signale zu senden.
Vier Jahre nach seiner Wiederwahl-Niederlage im Jahr 2020 gelang es Donald Trump unerwartet, die Wahl zu gewinnen. Biden hatte zwar bewiesen, dass er geistig nicht mehr so fit war, aber die Kandidatin, die ihn ersetzen sollte, schien genau die Eigenschaften zu haben, die einige für nötig hielten, um im Amerika des 21. Jahrhunderts gegen so einen old white man wie Trump zu gewinnen: Frau, mit Migrationshintergrund, progressiv, pro-LGBT. Dennoch war die Niederlage von Kamala Harris klar. Manche versuchen, Trumps Sieg damit zu erklären, dass sich die amerikanische Gesellschaft noch nicht von den alten Lastern des Rassismus und Sexismus befreit hätte. Aber die Tatsache, dass Trump im Wahlkampf versprochen hatte, den Konflikt in der Ukraine innerhalb eines Tages zu beenden, kann wohl sein wichtigstes Wahlversprechen gewesen sein. Wahlversprechen werden ja bekanntlich oft schnell vergessen, aber Trumps Absicht, das Gemetzel in der Ukraine zu beenden, schien ehrlich gewesen zu sein. Kamala Harris hätte die Politik ihres Vorgängers fortgesetzt: mehr Rüstung für die Ukraine, in einer allmählichen Eskalation, in der Hoffnung, dass das, was von der ukrainischen Armee übrig geblieben ist, in der Lage sein würde, Russland mit einer plötzlichen Wendung aus seinen Gebieten endlich zu vertreiben. Trump ist kein Pazifist, aber er konnte zumindest wagen, eine Alternative anzubieten.
Praktisch jeder, der in den Jahren zuvor eine alternative Lösung vorgeschlagen hatte, wurde des Defätismus, der Feigheit, der Wiederholung des Fehlers des britischen Kanzlers Chamberlain beschuldigt. Chamberlain hatte vor dem absoluten Bösen, Hitler, kompromissbereit kapituliert. Das war eine weitere Manifestation des „Münchener Komplexes“, entstanden nach dem epochalen Trauma des Zweiten Weltkriegs. Die „Pazifisten“ wurden als „Pseudopazifisten“, „Lumpenpazifisten“ oder einfach als „Putins nützliche Idioten“ verunglimpft. Bis vor einem Jahrzehnt gab es noch Menschen, die ernsthaft an das Ende der Geschichte glaubten, ein Ende der Geschichte, das im optimistischsten aller Szenarien allen Kriegen ein Ende setzen würde. Der Krieg in der Ukraine wurde gerne als ein Krieg von „Demokratien“ gegen „Diktaturen“ gedeutet. Die Verteidigung der Ukraine sei keineswegs geopolitisch motiviert, sondern eine moralische Verpflichtung: Jede Art von Kompromiss wäre ein Pakt mit dem Teufel. Auch der Krieg in der Ukraine, der Krieg der Demokratien gegen die Diktaturen, wurde als Krieg verkauft, der alle Kriege beenden sollte.
Heute ist von einem bevorstehenden Gespräch zwischen Trump und Putin die Rede, zunächst per Telefon, dem dann ein persönliches Treffen folgen soll. Kann der Krieg in der Ukraine wirklich beendet werden? Und wenn ja, wie? Keith Kellogg, ehemals nationaler Sicherheitsberater von Mike Pence, dem Vizepräsidenten unter Trump, und nun der Mann, den Trump zum Sondergesandten für Russland und die Ukraine ernannt hat, hat von hundert Tagen für die Lösung des Problems gesprochen — eine Frist, die sicherlich realistischer erscheint als die, die Trump im Wahlkampf nannte. Doch die europäische Elite hat in den letzten Jahren viel politisches Kapital in die ukrainische Sache investiert und hat anscheinend Angst, irrelevant zu werden. Viele haben daher Europa aufgefordert, die Initiative zu ergreifen, falls Amerika zur Seite treten sollte. Wer hätte noch vor zehn Jahren gedacht, dass Europa sich als kriegerischer erweisen würde als die USA?
Dabei ist dies kein wirklich neues Phänomen. Denken Sie an die Jugoslawienkriege und den kroatischen Unabhängigkeitskrieg: Deutschland, das nicht einmal ein Jahr zuvor wiedervereinigt worden war, ergriff im Sommer 1991 die Initiative, indem es erklärte, es wolle die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens vor allen anderen Ländern anerkennen, und dann die kroatischen Kriegsanstrengungen unterstützte. Die meisten europäischen Staaten und die USA taten innerhalb weniger Monate dasselbe, aber Deutschland war allen voraus. Die Sorgen um das Völkerrecht und die Unverletzlichkeit der Grenzen, für die sich heute viele gerne als Verteidiger einsetzen, wenn es um den Donbass, die Krim und Russland geht, schienen damals niemanden zu kümmern.
Deutschland schien schon damals das Trauma des Militarismus überwunden zu haben und war wieder bereit, Krieg als legitime Lösung von Konflikten zu akzeptieren, wie die Beteiligung an der Bombardierung Serbiens 1999 zeigte: „Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen“, sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder. Anlass für das Eingreifen der NATO war das Massaker von Račak, bei dem rund 40 albanische Zivilisten angeblich getötet worden waren – man siehe dazu die ARD-Dokumentation „Es begann mit einer Lüge“ — und der Vorwurf des Völkermordes gegen die Serben.
Obwohl Deutschland von vielen transatlantischen Falken, sowohl in Europa als auch in Amerika, oft heftig kritisiert wurde, weil es anfangs nicht genug für die Ukraine getan haben und sogar in Wirklichkeit „pro-russisch“ gesinnt gewesen sein soll, ist Deutschland heute nach den USA der zweitgrößte Lieferant von Waffen an die Ukraine und ist sogar stolz darauf. Stolz darauf, dass es jede diplomatische Lösung des Konflikts in der Ukraine im Namen eines absolutistischen Moralismus abgelehnt hat. Die Weigerung des deutschen Bundeskanzlers, die Ukraine mit Taurus-Langstreckenraketen zu beliefern, ändert nichts an der Substanz der Dinge. Der neue Bundeskanzler, aller Voraussicht nach der CDU-Kandidat Friedrich Merz, wird sich gegenüber Russland noch entschlossener verhalten. Der Krieg in der Ukraine scheint für Deutschland eine kollektive Therapie zu sein, um das Trauma zu sühnen, das so viele Generationen nach 1945 geprägt hat, und um endlich in jeder Hinsicht auf die „richtige Seite der Geschichte“ zurückzukehren, ohne jegliche „Sonderwege“.
Nach der unermesslichen Tragödie des Zweiten Weltkriegs schien es, als sei in Westeuropa ein neuer anthropologischer Typus geboren worden, ein neuer Typus von Mensch, der, nachdem er die Schrecken und die Sinnlosigkeit des totalen Krieges erlebt hatte, dem Krieg als Fortsetzung der Politik abgeschworen hatte. Der neue Mensch, geläutert durch die vernichtende Katharsis des Krieges und das Schreckgespenst einer nuklearen Konfrontation mit der Sowjetunion, setzte seine Hoffnungen auf das Ideal der harmonischen Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ländern, das in den Vereinten Nationen verkörpert wurde. Die Lektion des Zweiten Weltkriegs für Europa lautete bekanntlich: „Nie wieder“. Nicht zufällig will die Europäische Union, deren Fundamente in der Nachkriegszeit gelegt wurden, oft das Verdienst haben, achtzig Jahre lang den Frieden auf europäischem Boden gesichert zu haben. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung von West- und Osteuropa schien das Ideal eines relativ dauerhaften Friedens trotz der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in greifbarer Nähe. Doch heute haben wir statt „Keine Waffen in Kriegsgebiete“ einen Verteidigungsminister, der dazu aufruft, „kriegstüchtig“ zu sein, und der dabei die Seelen der Bürger nicht nur nicht mit Schrecken erfüllt, sondern sich im Gegenteil als der beliebteste Politiker des Landes erweist.
Selbst in bis vor kurzem neutralen Ländern wie Finnland und Schweden wird die Bevölkerung aufgefordert, sich auf den Krieg vorzubereiten, als ob er unvermeidlich wäre. Nur die Russen sind daran schuld, wird man sagen, die Russen sind heute ja so furchterregend wie sie sonst immer waren, und die braven und verantwortungsbewussten Bürger Europas haben keine andere Wahl, als sich angesichts eines bedrohlichen und aggressiven Feindes zu bewaffnen. Es scheint fast so, als wolle die derzeitige europäische herrschende Klasse, die sich einst als Garant des Friedens bezeichnete, um jeden Preis beweisen, dass sie „Eier“ hat und angesichts der Kriegsgefahr nicht zurückweichen will. Es ist ja nicht so, dass ihre Kinder in den Krieg ziehen würden. Europa scheint sogar bereit zu sein, sich auf eine Scheidung von Amerika vorzubereiten, sollte der neue amerikanische Präsident die militärische Unterstützung für die Ukraine reduzieren, und als wolle Europa zeigen, dass es genauso kämpferisch ist wie Amerika. Europa lässt sich von den baltischen Ländern und Polen anführen, die aus historischen Gründen jeden Versuch eines Dialogs mit Russland als unerwünscht betrachten, und die übrigen Länder wollen auch nicht übertrumpft sein.
Aber Trumps zweites Kommen könnte einige Überraschungen bereithalten. Auf einen Waffenstillstand in der Ukraine könnte das Aufflammen anderer Konflikte folgen. Heute wird in Washington und Israel offen über einen Regimewechsel im Iran gesprochen. Die US-Militärkampagnen im Nahen Osten und in Afghanistan waren sicherlich keine großen Erfolge, doch die Kriegsmaschinerie scheint nicht zu stoppen zu sein, auch wenn der Iran sicherlich kein leichter Gegner wäre. Das US-Establishment muss seinen unaufhaltsamen Kurs fortsetzen, getrieben von dem Willen zur Macht, die Welt neu nach seinem Bild zu gestalten, egal ob in der Ukraine, in Teheran oder in Taiwan. Dabei ist es egal, ob dabei Kriege ausbrechen, die Jahrzehnte dauern und Abertausende von Menschen sterben. Die Lehren aus der Geschichte, würde man sagen, bedeuten nichts. Trump, der unwahrscheinliche Pazifist, könnte nicht in der Lage sein, den Verlockungen militärischer Gewalt zu widerstehen. Das Ideal des Friedens und einer Weltordnung der harmonischen Entwicklung wird regelmäßig ins Lächerliche gezogen, und die derzeitige westliche Superelite betrachtet die geopolitischen Ereignisse als Nullsummenspiel. Wir wissen nicht, wer ein solch riskantes Spiel gewinnen wird, aber wir wissen mit Sicherheit, wer verliert: wir alle, die wir als europäische Bürger in der Hoffnung aufgewachsen sind, in Frieden zu leben und die schrecklichen Erinnerungen an den Krieg ein für alle Mal hinter uns zu lassen.