
Lass uns die Auferstehung leben – nicht mit Gewalt gegen Gewalt, sondern mit Entspannung, mit Gesprächen!
(Red.) Stefan Herbst ist im Juni 1960 in einer streng katholischen Familie in Deutschland geboren, in der der soziale Dienst an der Gemeinschaft wichtig war. Schon früh hat es ihn dann nach Lateinamerika verschlagen, wo er auch die Bewegung der «Theologie der Befreiung» von Gustavo Gutiérrez kennenlernte. Sowohl in Lateinamerika, speziell in Mexiko, wie auch wieder in Deutschland hat er Theologie und Philosophie studiert und sich in verschiedenen Organisationen und Funktionen sozial engagiert. Jetzt arbeitet er als Pfarreiseelsorger im Katholischen Pastoralraum Biel/Pieterlen in der Schweiz und ist dort für den Bereich Diakonie und Soziales verantwortlich. Aus Anlass der gegenwärtig brandgefährlichen geopolitischen Situation hat er uns Schweizern seine Sicht in Form einer Osterpredigt zugeschickt. (cm)
Liebe Geschwister
Die Menschheit steht heute wie nie zuvor vor der Herausforderung, die Gewalt zu überwinden. Gewalt von Menschen über Menschen, von Menschen über Natur ist immer ein Menschheitsthema gewesen. Heute aber stellt sie sich, auch angesichts der neuen Technologien, mit immer stärkerer Macht vor uns: Entweder es gelingt uns, in absehbarer Zeit die Gewalt zu überwinden, oder wir und die ganze Menschheit mit uns werden zum Opfer der von uns entfesselten Gewalt. Leider sind Menschen und bornierte Politiker bisher wenig erfinderisch beim Umgang mit Gewalt gewesen. Man antwortet mit Gegengewalt. Wenn der andere zuschlägt, schlage ich zurück. Ich lass doch nicht alles mit mir machen. Das mag in kleineren Streitigkeiten auch sogar manchmal erfolgreich sein, aber mit dem Stand heutiger Technik – mit Atombewaffnung und der drohenden Gefahr des Einsatzes „künstlicher Intelligenz“ – also mit all der Technik, die wir erfunden haben, ist diese Kleinkriegsmentalität: „ich schlage zurück, ich drohe zurück“, in einer Sackgasse. Wir brauchen dringender denn je ein Umdenken. Nicht Aufrüstung, nicht Kriegsvorbereitungen, nicht Droh- und Abschreckungsszenarien sind es, die uns schützen. Wir brauchen vielmehr Gespräche, Gespräche und nochmals Gespräche und Verhandlungen. Wir brauchen Verständigung, wir müssen miteinander reden, wir müssen Kompromisse schliessen, wir müssen Vertrauen aufbauen, statt es immer weiter zu zerstören. Wir brauchen nicht Aufrüstung, sondern Abrüstung. Wir brauchen Politiker, die ihre Vernunft einschalten, die zu dem „neuen Denken“, von dem einst Gorbatschow gesprochen hat, zurückkehren und zwar auf allen Seiten. Ein neues Denken ist gefragt: Eine neue Logik: Entspannungspolitik, Abrüstungsverträge, Entfeindungsliebe und Gewaltverzicht, das sind die ethischen Maxime, die uns vor der Selbstvernichtung retten können.
Liebe Geschwister
Kurz gesagt: Es ist dies die Botschaft von der Auferstehung Jesu, die Botschaft vom leeren Grab. Wir brauchen heute mehr denn je leere Gräber, Menschen, die dafür sorgen, dass Gräber leer bleiben und nicht erst so randvoll gefüllt werden, dass es gar nichts anderes mehr gibt.
Lassen Sie uns also zu Botschafter des „Leeren Grabes“ werden – das geht, wie Jesus uns vorgelebt hat, über den Weg der Gewaltlosigkeit, der Feindesliebe, der Bergpredigt. Nie war die Bergpredigt von der Feindesliebe so not-wendig wie heute. Sie bringt Auferstehung. Uns Christen blieb allzu oft diese Botschaft – sie ist 2000 Jahre alt – aber bis heute unerkannt, unentdeckt. Das alte geradezu archaische Kalte-Kriegsdenken feiert überall fröhlich neue Urstände. Wir – und da kann ich leider auch die Schweizer Politik nicht herausnehmen – sind dabei, wider besseres Wissen in immer neue Hysterien, Angstmacherei und Verteufelung des Anderen hineinzugeraten. Dabei ist gerade die Verteufelung des anderen ja nur ein Spiegelbild, ein Zerrbild von dem, wie wir selbst denken und zu handeln bereit sind. Vielleicht kennen Sie die „Du bist schuld“-Übung“: Wenn wir den anderen mit erhobenem Zeigefinger beschuldigen, deuten drei unserer Finger auf uns zurück. Wenn europäische Politiker Russland der hybriden Kriegsführung, der Spaltung Europas oder gar des Informationskrieges beschuldigen, so ist das im Grunde ein „Bekenntnis“ darüber, dass wir das schon längst selbst machen.
Liebe Geschwister
Bleiben wir noch einmal bei dieser Botschaft vom leeren Grab: Wir sind, wie keine Generation vor uns, aufgefordert, für leere Gräber zu sorgen – also Frieden zu stiften. Wenn wir das versäumen, dann Gnade uns Gott. Dann wird es vorbei sein. Wir sind heute so, wie Maria Magdalena, die sozusagen schüchtern angstvoll, noch am Rande stehend in das leere Grab hineinschaut. Sie weint, sie hat keine Hoffnung, sie denkt falsch: Man hat den Leichnam gestohlen. Erst als sie sich in das Grab hineinbegibt, wird sie gewahr, dass es „leer“ ist. Sie wird von den Engeln empfangen: Frau, warum weinst Du? Und dann kommt die Begegnung mit Jesus dem Auferstandenen, den sie erst erkennt, als er sie beim Namen ruft. So blind wie Maria Magdalena sind wir leider bis heute: Die Auferstehungsbotschaft ist gegenläufig zu unserem kreatürlichen Verhalten. Sie lautet: Ich schlage nicht zurück. Ich überwinde Gewalt mit Liebe. Ich lasse mich lieber verspotten, auslachen, foltern und hinrichten, als dass ich diese Botschaft, die Überzeugung, dieses Wissen von der Logik des Reiches Gottes aufgeben würde. Besiegen wir durch Leid das Leid und das Böse dieser Welt. Nehmen wir lieber auch gesamtgesellschaftlich „Gewalt“ in Kauf, als dass wir mit gleichen Mitteln zuschlagen oder zurückschlagen. Das hoffnungsmachende an dieser Botschaft ist: Imperien zerfallen, das römische Reich vergeht, das Nazi-Reich ist schnell in sich verfallen, die Sowjetunion war auf tönernen Füßen gebaut – die US-First Politik wird scheitern, ein Europa, das aufrüstet, wird nackt dastehen, wie Israel schon heute. Die Kapitalisten und Oligarchen von heute werden die Verlierer von morgen sein. Denn kein Reich dieser Welt hat Bestand – so zumindest unsere Botschaft, wenn sie nicht auf dem Himmelreich gründet. Das Reich Gottes, es ist nicht von dieser Welt. Die Auferstehung zeigt an: Sie sorgt für leere Gräber, sie ist ein Reich des Friedens, der Versöhnung, der Entfeindungsliebe und der Gewaltlosigkeit. Damit die Gräber einst und für immer leer bleiben mögen. In der Zeitung lese ich, dass Israel gerade die Reservisten ausgehen, um den Krieg gegen die Palästinenser weiter zu führen. Mehr als 100.000 Reservisten weigern sich, den Einberufungsbefehlen Folge zu leisten. Hier wird wahr: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. Hoffen und beten wir, dass dieses Beispiel Schule macht.
Zum Schluss noch zwei, drei weitere kleine Beispiele von Auferstehung: Meine beiden Töchter waren am Gründonnerstag bei uns zu Besuch. Ich habe sie gefragt, wo sie Auferstehung erfahren haben. Die jüngste arbeitet derzeit als Praktikantin in einer psychiatrischen Einrichtung in der Nähe von Sankt Gallen: Auferstehung war für sie, als ein mittelalterlicher Mann, der immer depressiv und geknickt in den freien kreativen Raum kam und verloren war, angefangen hat, für seine beiden Kinder Armbänder zu basteln. Das war so etwas wie ein Auferstehungserlebnis für meine Tochter. Ein Mann geht, warum auch immer, erste Schritte hin zur Überwindung seiner Depression. Er fängt an, für seine Kinder zu basteln.
Meine andere Tochter arbeitet derzeit als Sozialpädagogin in einer Rot-Kreuz-Einrichtung für Flüchtlinge in der Nähe von Freiburg. Für sie war ein Auferstehungserlebnis ein Anruf von einer Praktikumsstelle: Ein Geflüchteter habe angefangen, dort seinen sozialen Dienst abzuleisten. Er sei schon vier Mal da gewesen. Wie froh ist meine Tochter darüber, denn sie hatte große Zweifel, ob der Geflüchtete diese Auflage des Gerichts erfüllen würde. Wenn er nicht angefangen hätte, würde er für sein Vergehen zahlen müssen oder ins Gefängnis gehen. Und da er kein Geld hat, wäre der Gefängnisaufenthalt unumgänglich geworden. Aber dieser Flüchtling und seine Berater haben es geschafft: Er hat doch die Bereitschaft gezeigt, sein Vergehen durch eine soziale Arbeit wieder gut zu machen. Auch das ist der Weg der Auferstehung.
Und zuletzt noch eine ganz banale Geschichte von mir – auch das ist Auferstehung – oder zumindest habe ich das ein bisschen so erlebt. Seit Wochen haben wir in Nidau auf einer Baustelle gelebt. Ständig Baggerlärm, aufgerissene Strassen, Staus und Behinderungen, weil wir an das Wärmenetz angeschlossen werden sollen. Umwege, Ärger, Lärm, Staub und Dreck. Das hat belastet. Am Gründonnerstag dann aber das unverhoffte Ostergeschenk: An diesem Tag wurde eine sechswöchige Baustelle endlich beendet. Die aufgerissene Strasse wurde zugeteert, die Schilder entfernt, die Löcher zugeschüttet. Wieder normales Leben – halt einfach Leben. Ich habe es als schönstes Ostergeschenk dieses Jahres erfahren – Auferstehung, naja das wäre vielleicht ein allzu großes Wort. Aber doch vielleicht wenigstens ein „Hauch von Auferstehung“. Leben wir selbst diese Auferstehung! Werden wir wie Maria Magdalena zu Boten dieser Auferstehung. Glauben wir an das leere Grab und sorgen wir dadurch selbst für leere Gräber. Werden wir zu Boten von Hoffnung in Depressionen, für guten Rat und Begleitung von Menschen, die es nötig haben – für ein gutes Essen und Sauberkeit für den anderen.
Amen.
Anmerkung der Redaktion: Zu Stefan Herbsts Predigt passt, was heute Ostermontag über den Tod von Papst Franziskus gesagt wurde. Zur Anhörung seien empfohlen eine Würdigung des Papstes auf Radio SRF und ein Bericht über seine Ausstrahlung in Lateinamerika, speziell in Argentinien, von wo er gekommen ist. (cm)